Referat des Infoladens für das Strukturtreffen am 9.12.99

Es gab im Rahmen unserer Vorbereitung für dieses Treffen eine reihe unterschiedlicher Diskussionen und Positionen, die sogar in unserer kleinen Gruppe sehr konträr diskutiert wurden, mit deren einzelner Vorstellung ich Euch jedoch nicht langweilen möchte. Aber finden wir es wichtig, zumindest einen Teil der Fragen, die sich für uns gestellt haben, auch hier thesenartig vorzustellen. Ich werde im folgenden zum Teil auch eine Reihe von Worthülsen und Floskeln benutzen, wie zum Beispiel "wir" oder "linksradikal" oder "autonom" oder "linke Inhalte", allerdings im Bewußtsein darüber, das diese nur schwer oder individuell zu füllen sind. Allerdings sei mir das im Anbetracht dessen, das dieses Referat eher den Charakter eines Diskussionsbeitrages und einer ungenauen Skizze haben soll, verziehen.

1. Auch 1999 und danach noch nach vorne gerichtete linksradikale Politik zu machen, die nicht einen immer weiter eingeschränkten Radius zur Folge hat (sei es z.B. durch vermehrte Grabenkämpfe einzelner Gruppen, oder durch das weitere wegknicken auch noch der letzten Strukturen), kann nur funktionieren, wenn wir uns gemeinsam (und damit meinen ich die hier anwesenden Gruppen genau so wie Strukturen in anderen Städten) auf die Suche nach einer neuen, an den theoretischen Diskussionen der letzten Zeit orientierte Praxis begeben.

2. Das beinhaltet auch das "überbordschmeißen" von liebgewonnenen (pseudo-) Wahrheiten, denn die Welt sieht anders und komplizierter aus als wir gemeinhin annehmen. Ein Beispiel hierfür wäre die meist vereinfachende linke Kapitalismuskritik ("gegen das Europa der Herrschenden", "hinter dem Faschismus steht das Kapital", "ob grün, ob braun, Nazis auf die Fresse haun" usw. usf.). Auch die zum Teil propagierte Theorie der Nische, nach der es "bei uns" doch so viel netter sei und wir die Guten (Ihr werdets nicht vermuten, wir sind die guten!) stimmt nicht (und stimmte nie). In der Szene gibt es die gleichen (zum Teil auch repressiven) inklusions/exclusions- Mechanismen, die gleichen Macht/ Herrschaftsverhältnisse, die gleichen reproduzierten Geschlechterverhältnisse etc. wie anderswo. Das einzige, was es sozusagen bei uns besser macht, ist die zumindest theoretische Thematisierbarkeit. Dieses könnten (und sollten) wir nutzen, um uns gemeinsam auf eine neue Suche nach linksradikalen Politikformen und Inhalten zu begeben.

3. Durch den anhaltenden Prozeß der Entkollektivierung und Vereinzelung von Lebensentwürfen (und natürlich uns selbst) sind wir alle immer mehr dazu gezwungen, uns immer weiter in der kapitalistischen, systemischen Logik zu bewegen. Viele von uns machen heute schon Jobs, die uns eher weiter ins System katapultieren, als das sich uns Alternativen auftun könnten. Wir mutieren immer weiter zu Freizeit- und WochenendpolitikerInnen, das, was wir politisch vertreten, wird immer weniger politische Überzeugung, die auch im Alltag vertreten und umgesetzt wird, sondern immer mehr Privatmeinung. Anstatt uns also neue Praktiken und Taktiken anzueignen und subversiv anzuwenden, werden wir diskursiv von den neuen Praktiken und Taktiken angeeignet, oder sogar selbst zu den ModernisiererInnen, in dem wir uns noch schneller als alle anderen auf die neuen deregulierten, flexibilisierten und modernisierten Arbeits- und Lebensverhältnisse einlassen oder unser Wissen systemimmanent einbringen- ob durch Antira-Tainings in Schulen, durch Seminare zur "Geschlechterdemokratie in Institutionen und Firmen" oder andere Teilhabe. (das soll jetzt nicht moralisch- verteufelnd wirken, sondern nur Fragen nach den Alltagspraxen ermöglichen)

4. durch die immer weiter fortschreitende Ausdifferenzierung in Teilbereiche geht das Selbstverständnis als gemeinsam handelnde und "kämpfende" radikale Linke mehr und mehr verloren. Es findet eher eine Art Konkurrenz zwischen den Bereichen (Antifa ist aber wichtiger als Antipat, ...) statt als der Versuch, sich mit einander solidarisch auseinander zu setzen und bereichernde Kritik zu üben. Im radikalitäts-contest sind wir alle die Nummer 1... und die anderen die Looser.

5. Wir sind kaum mehr in der Lage, uns, unsere eigene Bedeutung und die unserer Events realistisch und kritisch zu reflektieren. Somit müsste eine Auseinandersetzung hierüber auch die Auseinandersetzung über unsere mediale Aufbereitung und die Repräsentation nach außen beinhalten. Was ist das, was wir tun? Leben Aktionen aus sich selbst heraus, über die Wahrnehmung derer hinaus, die an der Aktion teilnehmen, sind sie "reale Ereignisse" und stehen somit für sich selbst? Oder existieren Ereignisse nur aus einer nachträglichen Produktion von Information, sind sie nur Trägermasse von Inhalten auf dem Weg in eine mediale Öffentlichkeit?

6. Eine weitere Frage, die wir uns dringend stellen müssten, ist die nach den "linken Inhalten". Schaut man sich den Vormarsch rechter Ideologien an, kann man auch bei den Neonazis Begriffe wie "Solidarität", "Frieden", und anderes finden. So ziert einen Artikel zu dem Konzept der "national befreiten Zone" eine mit einem Palituch vermummte, eine Steinschleuder in der Hand haltende Person und die Überschrift "bis zum Sieg: Intifada!". Auch eine radikale Haltung gegen den Jugoslawienkrieg oder gegen die Globalisierung oder auch die WTO, um nur einige Beispiele zu nennen, ist bei den Widerlingen von rechts zu beobachten. Meiner Meinung nach liegt dies mitnichten daran, "das die uns alles wegnehmen", sondern daran, das die Linke nichts gepachtet hat; wir hatten lediglich eine Zeit lang die Definitionsmacht über einige Begrifflichkeiten und Bereiche. Ich wage sogar die These, das es gar keine linken Inhalte gibt, sondern nur eine Linke Utopie- wenn wir aber aufhören, diese zu entwickeln und zu pflegen und nicht versuchen, unsere Utopien auf den Ist- Zustand anzuwenden, haben wir eine Menge verloren.

7. Wir glauben, das Politikfähigkeit in der Linken in Zukunft nicht zuletzt daran hängt, wie wir miteinander kommunizieren; und das eben auch über die oben angeschnittenen Fragen. Wir denken außerdem, das wir der Tendenz der immer weiter gehenden Privatisierung von Infrastruktur und Information entgegen wirken müssen, und das nicht nur dadurch, das einzelne auf ihren Kontakten glucken, sondern das auch andere sich mehr Interessieren und sich organisieren. Wir sollten aus begangenen Fehlern lernen und diese nicht immer wieder wiederholen. Als radikale, autonome linke ins nächste Jahrtausend. Für eine weiterführende Strukturdiskussion!!!