Kölnische Rundschau 11.12.00
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25 000 zogen zum Hohenzollernring

Köln setzt Zeichen für Toleranz

"Ich gehe auf die Straße für meine Schulfreunde Serkan und Roberto", hatte der zehnjährige Jonas in bunter Schrift auf ein Pappplakat gemalt. Zusammen mit seiner Schwester Julia ließ er sich im Bollerwagen durchs Gedränge ziehen. Auch die beiden Koreaner Young-Dal und Soon-Shun Park waren mit Sohn und Hund zum ersten Mal bei einer Demonstration. "Wir wollen ein Zeichen für Frieden und Menschlichkeit setzen", sagte der 35-jährige Sänger im Kölner Opernchor, der mit seiner Familie in Ehrenfeld lebt - "in bester Nachbarschaft mit Deutschen und Türken", wie er hinzufügt. "Sozialverhalten beweisen, Toleranz zeigen", hatte ein Demonstrant auf ein Transparent geschrieben, weil es ihm um mehr als den Protest gegen den Aufmarsch der Neonazis ging. Den hatte ein anderer in Anspielung auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf seinem Plakat mit den Worten kommentiert: "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen."
"Köln stellt sich quer", war das Motto der Demonstration, zu der verschiedene Initiativen, Kirchen, Parteien (außer der CDU) und Gewerkschaften sowie Oberbürgermeister, Regierungspräsident und Polizeipräsident aufgerufen hatten. Rund 25 000 Kölner waren dem Aufruf gefolgt und vom Offenbachplatz zur Kundgebung auf dem Hohenzollernring gezogen. "Wir demonstrieren für eine Stadt Köln, in der niemand Angst haben muss", sagte Jürgen Wilhelm von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in seiner Rede auf der Bühne. "Wir sind stolz auf unsere ausländischen Nachbarn. Sie bereichern unsere Stadt nicht nur, sondern sind ein gewachsener Teil dieser Stadt. Es ist gut, dass sie da sind."
Wilhelm (SPD) warnte seine Politiker-Kollegen, die Wirkung ihrer Worte zu bedenken, wenn sie zum Beispiel über "Kinder statt Inder" oder die "deutsche Leitkultur" diskutierten. Der Versuch der Sprecherin der Kölner "Antifa", Monika Lanken, die Veranstaltung zum Frontalangriff auf sämtliche demokratische Parteien von Grün bis Schwarz zu missbrauchen, bekam genauso wenig Applaus wie der völlig missglückte Auftritt des Kabarettisten Wilfried Schmicklers.(Die Rundschau lügt! Der Applaus war groß)Den richtigen Ton traf neben Wilhelm noch BAP-Sänger Wolfgang Niedecken. "Lasst uns einen friedlichen Spaziergang zum Ebertplatz machen. Ich hoffe, es bleibt gewaltfrei", sagte er nach dem immer noch aktuellen BAP-Oldie "Kristallnach" und dem Auftritt der "AG Arsch Huh" (mit BAP, den Höhnern, Tommy Engel, Galleon und vielen anderen). Das letzte Lied der Kundgebung war programmatisch gemeint: "En unsrem Veedel, do hält man zesamme." Anschließend zogen Tausende friedlich Richtung Ebertplatz, wo die Polizei die Straßenzüge, in denen die Rechtsradikalen demonstrierten, hermetisch abgeriegelt hatte. Nicht alle waren einverstanden mit der massiven Polizeipräsenz, die es noch nicht einmal zum Sichtkontakt mit der rechten Szene kommen ließ. Demo-Mitorganisator und Sprecher der "AG Arsch Huh", Karl-Heinz Pütz, kritisierte die Absperrungen am Hansaring und den Einsatz von Hundeführern. Im Großen und Ganzen lobte er jedoch die "gute Zusammenarbeit" mit der Polizei. Die Demonstration sei ein großer Erfolg gewesen, resümierten Pütz und die anderen Veranstalter am Nachmittag: "Es ist gelungen, die Kölner auf breiter Basis zu mobilisieren." Acht Polizisten bei Demos verletzt Samir K. schlägt verzweifelt die Hände vors Gesicht. Seinen Kindern ruft er zu: "Hört nicht hin!" Die Parolen der 120 vorbeimarschierenden Neonazis lassen den Marokkaner am ganzen Körper zittern. "Ihr werdet es nicht vermuten. Wir sind die Guten", skandieren die Rechten. Samir K. ist außer sich und schreit seine Wut heraus: "Hört endlich auf damit." Doch der Aufmarsch der Rechtsextremen im Banken- und Büroviertel an der Riehler Straße dauert noch zwei Stunden. Der 41-Jährige kann die hasserfüllten Sprechchöre nicht mehr ertragen. Er packt seine beiden Kinder und flüchtet.

Das Viertel nördlich des Doms war am Samstag wegen des Neonazi-Aufmarschs seit den frühen Morgenstunden von der Polizei hermetisch abgesperrt worden, um Zusammenstöße zwischen den Neo-Nazis und Gegendemonstranten zu verhindern. Die Einsatzhundertschaften warteten auf die 120 Rechtsextremen, die gegen 12 Uhr mit einem KVB-Sonderzug vom Hauptbahnhof zum Reichensperger Platz gefahren wurden. An vorderster Front der einschlägig vorbestrafte Neonazi Christian Worch aus Hamburg, Siegfried Borchard, bekannt als "SS-Siggi" aus Dortmund, und der Veranstalter der Demo, Paul Breuer aus Köln. Bei ihrem zweistündigen Marsch durch das Viertel musste der Zug mehrmals anhalten. Auf der Clever Straße kam es zu einer kurzen Sitzblockade von zwei Autonomen, nahe der Wörthstraße warf ein Anwohner eine Tüte Pizzamehl auf die Rechtsextremen. Ganz in der Nähe der Neonazis, am Neusser Wall, drohte die Situation zu eskalieren. Etwa 200 Autonome wollten die Polizeiabsperrung durchbrechen. Sie warfen Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper auf die Beamten. Bei der Auseinandersetzung wurden acht Ordnungshüter verletzt, ein Polizist erlitt eine Platzwunde am Kopf. Insgesamt wurden 25 Randalierer nach Straftaten wie Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte festgenommen. Peinlich für die Veranstalter der Gegendemo: Unter ihnen war auch der Leiter ihres Ordnungsdienstes. Er hatte Demonstranten per Megaphon dazu aufgefordert, die Polizeiketten zu durchbrechen und die Rechtsextremen zu verprügeln. Als die Neonazis gegen 14.30 Uhr schon wieder auf dem Heimweg waren, kam es auf der Riehler Straße in Höhe der Aral-Tankstelle zu erneuten Krawallen durch gewalttätige Autonome und Punker. Erst als Spezialeinsatzkräfte (SEK) eingriffen und mehrere Steinewerfer festnahmen, zogen die Randalierer ab. Bereits am Morgen hatten unbekannte Täter eine Stahlkette quer über die Rheinuferstraße gespannt und auf der Fahrbahn Feuer gelegt. Nur durch die Aufmerksamkeit eines Autofahrers konnte ein schwerer Unfall verhindert werden, er drückte die Stahlkette herunter. ta/gt