Die Woche; Ausgabe 24 (9. Juni 2000)

 

Die Normalität des Bösen

 

Es lebt sich gut als Ausländerfeind in einer der NATIONAL BEFREITEN ZONEN in den neuen Bundesländern - ein Ortsbesuch

VON CORINNA EMUNDTS

 

Es wurde geklaut in Pößneck. Gartenzwerge. Steht in der Zeitung. Pößneck, ein kleiner Ort, beschaulich, 14 500 Einwohner. In hügeliger Goethe-Landschaft gelegen. Die Landesgartenschau ist seit wenigen Wochen eröffnet, sie soll ein wenig überregionales Flair bringen. Nun müssen die letzten Zwerge hinter Glas gezeigt werden.

Gartenzwerge. Verkörpern Sehnsucht. Nach Beschaulichkeit. Nach Gemütlichkeit. Nach Heimat.

Die Gegend ist schön hier im Thüringischen, die Straßen sind neu asphaltiert, die Fassaden renoviert, aber das reicht wohl nicht. Hunderte verlassen jährlich die kleine Stadt, auf der Suche nach Arbeit und Zukunft. Vielleicht sind die Menschen hier immer noch nicht angekommen im neuen Deutschland, im Jahr 10 nach der Wende. Vagabundieren zwischen optischer BRD-Kulisse und DDR in den Köpfen. In manchen steckt wohl auch noch etwas vom Dritten Reich.

„Ich wohne hier“, sagt Oswald Müller, „aber ich bin wurzellos. „Die Hände gefaltet am Wirtshaustisch, drei kleine Buchstaben auf dem Poloshirt: NPD. Fast beginnt der 69-JŠhrige zu weinen über seine Worte. „Ich bin Sudete“, sagt er und schaut zu seinem Neffen herüber. „Für uns ist das Sudetenland immer noch ein Teil Deutschlands“, sagt der. Dunkler Schnurrbart, unauffälliges Äußeres, Mitglied im Pößnecker Schützenverein. „Beschäftigungslos“ nennt er sich, nicht: arbeitslos. Andreas Schönleben ist Kreisvorsitzender und Landesgeschäftsführer der NPD.

Er hat eine Gruppe Parteimitglieder zusammengerufen. Ein trauriger Haufen, manche kaum des sprachlichen Ausdrucks mächtig. Wortkarg ins Bierglas blickend. Keine Haiders, keine Charismatiker, keine Rattenfänger. Wir sind benachteiligt und du bist es auch, wir fühlen uns heimatlos und du auch, deswegen kämpfen wir für dich - mit solcher Tristesse versuchen sie Mitglieder zu gewinnen. Im Stadtrat ist die NPD nicht vertreten, im Kreistag nicht und auch nicht im Landtag. Den Saale-Orla-Kreis regiert mehrheitlich die CDU, dazu SPD, PDS und eine Bürgervereinigung.

Dennoch macht sich in der Gegend eine braune Jugendkultur breit, so mächtig, daß Experten den Nachbarorten Neustadt und Pößneck in Ostthüringen alle Attribute einer „national befreiten Zone“ zumessen: ein Begriff, von Rechtsextremisten erfunden, um den Freiraum zu markieren, in dem sie Macht ausüben und Abweichler bestrafen können. Ein Begriff, den der Berliner Extremismusforscher Bernd Wagner als Ausdruck voranschreitender kultureller Hegemonie der Rechten definiert.

Die neuen Bundesländer bieten dafür eine besondere Voraussetzung: die weitgehende Abwesenheit von Ausländern. Die kleinstädtische Psychologie verschärft das Problem. In Pößneck und Neustadt, rund zehn Kilometer voneinander entfernt, sind weniger als 2 Prozent der Einwohner ausländischer Herkunft. Die Ausländerfeindlichkeit ist dennoch in beiden Kleinstädten überdurchschnittlich hoch. Einer, Ahmad, der Kleiderhändler mit Marktstand in Pößneck, ist deshalb weggezogen. Auch die Punks sind schon weg. Denn hier herrscht der Terror, alltäglich, leise und unauffällig. Und in der Zeitung ist davon wenig zu lesen. Vielleicht weiß nicht einmal die Polizei davon. Oder will nichts davon wissen. Die Leute hätten manchmal einfach zu viel Angst, meint ein Polizist in Pößneck.

Die Region ist sozial gekniffen, ohne produzierendes Gewerbe und mit einer Arbeitslosenrate von 18 bis 20 Prozent. Im Zeitungsladen hängt eine kleine, sehnsüchtige Auswahl von Reiseführern über der Kasse: Karibik, Dominikanische Republik, Fuerteventura.

Der Verfassungsschutz macht in der Region um Gera, Jena und Saalfeld einen rechtsextremen Schwerpunkt aus. In Erfurt, 72 Kilometer entfernt, hatte an Ostern ein ehemaliges NPD-Mitglied einen Brandanschlag auf die Synagoge versucht. Thüringen hat in den neuen Ländern den stärksten Zuwachs an Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund.

Durch die Langeweile der Stadt tappt ein Mann mit Kampfhund, Armeehosen, Springerstiefeln und Kahlrasur. Die Unterlippe ist von einem Metallstachel durchbohrt. Am Kopf prangt der tätowierte Schriftzug „Blood & Honour“ - Name der Skinhead-Bewegung, die den Nationalsozialismus verherrlicht. An der Bank unterhalb des Pößnecker Marktplatzes sammeln sich die jungen Männer mit den kahl rasierten Schädeln, die ihr Outfit nach der rechten Mode orientieren. Rechtsextrem ist Lifestyle geworden.

„Ich schneide denen eine Glatze, wenn sie wollen“, sagt die Friseurin am Markt. Im übrigen heiße es noch nichts, wenn einer eine Glatze trage. Die Frisur der Skinhead-Mädchen sei inzwischen „ein moderner Kurzhaarschnitt“ für Kinder geworden. „Dort drüben wohnt so ein Rechter mit Kampfhund und Glatze“, sagt der Pößnecker Wasserwerker Günter Winkler und deutet von seiner Terrasse auf den Garten schräg gegenüber, „der pflanzt Blumen und verhält sich ansonsten ruhig.“ Manchmal verteile der Nachbar NPD-Flugblätter. Man grüßt sich.

Mit spürbarer Apathie wird die sich ausbreitende braune Szene hingenommen. „Die NPD ist ja nicht verboten“, sagt Winkler und zuckt mit den Achseln. Was erlaubt ist, muß auch toleriert werden. Politik ist die Sache der anderen, nicht die eigene. Das Leben dreht sich um den Springbrunnen im Garten, den Urlaub auf Fuerteventura. Oder einfach nur darum, Arbeit zu behalten. Es gibt genügend Vereine in Pößneck und Neustadt, aber sie dienen nur der Ablenkung vom Alltag. Nicht der Abwehr, dem Widerstehen. Die Rechtsextremen besetzen die öffentliche Bühne, weil die Bühne leer ist. Sie muß nicht mal „befreit“ werden.

Mancher Ort gehört den Glatzen schon ganz allein. Eine Tankstelle, ein Park, in der Nacht auch der Marktplatz. Als Nachbarn, Kollegen oder Mitschüler sind die Rechtsextremen toleriert - treten sie indes in der Gruppe auf, per Handy aus der ganzen Region zusammengetrommelt, verbreiten sie Angst. Erst recht, wenn der Alkohol-Pegel hoch ist. Und die Opfer scheuen davor zurück, bei der Polizei Anzeige zu erstatten Ð aus Furcht vor Rache. Gewalt erzeugt Macht, Macht schüchtert ein.

Neustadt, abends um halb zehn in „Henry’s Pub“. Der Marktplatz ist wie ausgestorben, in der Kneipe geht die Stimmung hoch. Hinter der Theke bedienen zwei junge Männer, die in einem Film über die Hitlerjugend mitspielen könnten. Der eine trägt ein Abzeichen der Werwölfe, der Untergrundarmee, die Goebbels noch 1945 bis zum „Endsieg“ weiterkämpfen lassen wollte. In die englische Popmusik brüllt ein Gast: „Sieg Heil!“ Ein strenger Blick vom Tresen, mehr passiert nicht.

Anfang des Jahres war einer der beiden Döner-Läden in Neustadt von einer Gruppe Glatzen demoliert worden, der türkische Besitzer gab auf. Das Verfahren gegen die von der Polizei noch am Tatort gefaßten Täter läuft noch. Nun gehört der „Dersim-Grill“ einer Deutschen. Seither gibt es keine Probleme mehr, sagt die Inhaberin. Einige Häuser weiter verbergen Bretter kaputte Scheiben: Seit Herbst wurde dort die „Projektwerkstatt“, ein selbst verwalteter Treffpunkt von Gymnasiasten, immer wieder Ziel von Gewalt. Vor ein paar Wochen wurde sie schließlich verwüstet, nun ist sie geschlossen. Gewalt verdrängt.

„Das ist zu belastend, da will man nicht mehr hin“, sagt die 18-jŠhrige Gymnasiastin Katharina Stephan, die dabei war, als die Scheiben eingeschlagen wurden und man nach dem Notruf eine Dreiviertelstunde auf die Polizei wartete. Die Schülerinnen erzählen vom traditionellen „Hexenfeuer“ Ende April, bei dem so viele Glatzen standen, aber keine Polizei, daß sie wieder gingen. Eines der Mädchen wurde blutig geschlagen. Ob beim Karneval, beim Brunnenfest oder der Schul-Disco - Gruppen von Glatzen tauchen auf und pöbeln.

Gewalt erobert den öffentlichen Raum - und die Menschen geben ihn preis. Eltern lassen ihre Kinder nicht mehr auf die Straße, wenn es heißt, die Glatzen seien unterwegs. Katja Besgen, Krankenschwester und Inhaberin der Musikkneipe „Trial“, auch schon Objekt rechter Aggression, berichtet von einem Samstagabend, an dem „Sieg Heil“ durch die Stadt dröhnte. „Die wollen einschüchtern, und das haben sie in Neustadt geschafft“, sagt der Gymnasiallehrer Rolf Sänger. Er beobachtet eine „magnetische Anziehungskraft“ von zwei Rechten auf manche Schüler. Je niedrigstufiger die Schulart, desto mehr rechtsextreme Schüler. In Klassen der Berufsschule haben sie auch schon mal die Mehrheit.

Sänger, der Lehrer mit der intellektuellen Brille, hat sich auseinander gesetzt mit dem Thema Rechtsextremismus. Das Schlimme ist, sagt er, daß das hier so geduldet wird. Er ist nicht allein mit seiner Meinung, doch für eine Gegenbewegung reichen die Kräfte nicht. „Jeder kümmert sich um seine eigene Scholle“, sagt der Jugendpfarrer Andreas Schaller. Die Geschäftsleute, die Lehrer, die Sportvereine. Selbst bei der freiwilligen Feuerwehr wird geklagt, es sei unheimlich schwer, Menschen für den Dienst am Gemeinwohl zu gewinnen.

Als die Lokalzeitung kürzlich schrieb, Neustadt werde zum Schwerpunkt der rechten Szene, sei er überrascht gewesen, sagt Bürgermeister Arthur Hoffmann, parteilos. „Ich finde es nicht unbedingt gut, wenn man diesen Kräften zu viel Beachtung schenkt.“ Da ist er in guter Gesellschaft. Eine Sprecherin der Polizeidirektion bestätigt, sie habe sich mit den örtlichen Medien abgesprochen, Rechtsextremismus so wenig wie möglich zu thematisieren.

Wie es scheint, sind manche Tabus der alten DDR noch immer mächtig.

Bürgermeister Hoffmann, angesprochen auf den zerschlagenen Döner-Laden, druckst herum. „Ich weiß nicht, ich muß sagen, es war ein Ausländer und irgendwie hat er sich da - ich weiß nicht, ob es an den Wirtsleuten nicht selber liegt.“ Wenn der Mann über Randale in seiner Stadt spricht, dann sind die Übeltäter „angereist“. Er meidet das Wort „Rechte“ und warnt doch vor Zuspitzungen wie in Österreich: „Man muß den Frust aus der Bevölkerung nehmen. Das ist eine Sache der großen Politik.“ Der Bürgermeister wird kenntlich als Teil des Schweigekartells. Gewalt macht stumm.

Am 8. April, eine Woche vor Eröffnung der Landesgartenschau, demonstrierten etwa 200 NPD-Anhänger in Pößneck. Schon am Vorabend war es zu Randale gekommen. Die PDS-Stadträtin Constanze Truschzinski stellte sich ganz allein dagegen. „Gegen Gewalt und Haß“ stand auf dem Plakat, mit dem sie auf den Marktplatz zog. Nicht lange. Die Polizei habe ihr angedroht, sie wegzutragen, erzählt sie.

Auch ein paar Dutzend Schüler wollten gegen den NPD-Aufmarsch protestieren Ð doch mehr als ein Friedensgebet mit dem Jugendpfarrer im Abseits der Kirche wollte man ihnen nicht zugestehen.

Die Obrigkeit hatte von vornherein kapituliert. Der neu gewählte SPD-Landrat Frank Roßner genehmigte den nationalen Spuk. „Eine flammende Erklärung gegen die NPD-Demonstration hätte denen doch noch mehr Öffentlichkeit gebracht“, rechtfertigt er sich heute. Immerhin habe er bei der Stadt angefragt, ob es möglich sei, am selben Tag eine andere Feier zu organisieren, dann hätte man die rechte Alternative nicht zu genehmigen brauchen. Doch das sei verneint worden.

Michael Roolant, CDU-Bürgermeister von Pößneck, bestreitet das. „Ich erhielt vom Landratsamt die Information, die Demonstration sei nicht zu verhindern.“ Aber wollte das überhaupt jemand? Roolant kleidet seine Kapitulationserklärung in folgende Worte: „Läßt man die NPD durchziehen, punktum, das war es - oder organisiert man eine Straßenschlacht?“ Gewalt kann auch korrumpieren.

Wo doch die Verhältnisse so kompliziert und die Fronten so unklar sind. In seiner Nachbarschaft, erzählt der SPD-Landrat, hätten Neonazis eines Abends gefeiert, „Juden raus“ in die Nacht gegrölt. Als Roßners Frau die Polizei anrief, wurde sie als Hysterikerin abgefertigt. Und an dem Samstag, als sich die NPD in Pößneck versammelte, bemerkte der Landrat, im bürgerlichen Beruf Lehrer, daß im Fußballverein ein paar seiner Schüler und Mitspieler fehlten - sie waren beim Aufmarsch dabei.

Abends „Stadtgespräch“ mit dem Bürgermeister im proppevollen Saal der Freiwilligen Feuerwehr. Doch niemand macht den Schatten über der Stadt zum Thema. Es gibt ja Dringenderes: Badneubau, das Parkhaus, die Stadtmauer. „Dieses Thema“, meint am Tag darauf Michael Roolant, „ist nicht das heißeste in Pößneck.“

Dieter Rebelein, Vorsitzender der Kreistagsfraktion der PDS, drückt es anders aus: „Das Materielle spielt eine größere Rolle als das menschliche Miteinander. Keiner merkt dabei, daß die Menschen sich auseinander leben.“ Den selbstbewußten politischen Bürger, der ohne Anweisung von oben beispielsweise einem Bündnis gegen Rechts beitrete, den gebe es hier nicht. „Der gelernte Ost-Bürger kann mit der Freiheit nichts anfangen, kann sie nicht als Aufgabe verstehen.“ Selbst in die Reihen der PDS frißt sich die Resignation. „Bei Parteiversammlungen kommt jeder, wann er will.“ Nur eine Bewegung organisiert sich noch selbst: die der Neonazis.

Hausbesuch in Pößneck-Ost, eine Mietskaserne. Monika Damsch (40) lebt von Arbeitslosenhilfe. Ihre Schwägerin, ebenfalls arbeitslos, sitzt mit beim Kaffee. Die Weißrussen, sagt die Schwägerin und meint eine Aussiedlerfamilie in ihrem Haus, die kriegen die Wohnung vom Sozialamt bezahlt und fahren BMW, dank der Eingliederungshilfe. „Und was kriegen wir?“ Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg, findet Monika Damsch. Deswegen gebe es die Gewalt in Pößneck. „Ich verurteile die Jugendlichen nicht mal dafür, ich muß mich selbst zusammenreißen, daß mir nicht manchmal die Hand ausrutscht“, sagt die Schwägerin. Ihr Sohn ist mitgezogen beim NPD-Aufmarsch, bis sie ihn rausgezogen hat. Das war ihr dann doch zu viel. Obwohl: „Was die NPD in Pößneck will, ist ja nicht schlecht.“

Man habe sich „angenommen“ gefühlt bei der April-Demonstration in Pößneck, sagt NPD-Mann Martin Soa bei Kerzenschein in der altdeutschen Gaststätte. „Es herrschte eine Atmosphäre des Friedens und der Zustimmung.“

Der Kreisvorsitzende Schönleben beteuert mit treuherzigem Augenaufschlag, die NPD habe mit anderen rechtsextremen Gruppierungen wie dem „Thüringer Heimatschutz“ nichts zu tun. Ach ja? Der Pressesprecher der Thüringer NPD ist gleichzeitig Kopf des Thüringer Heimatschutzes. Und einige junge NPDler aus der Gegend haben mit parteilosen jungen Burschen die „Schwarze Garde“ gegründet, um so das Parteiprogramm umschiffen zu können. „Streben sie eine national befreite Zone an?“ Was denn das sein solle, gibt Schönleben den Naiven. Soa ist offener: „Wenn Sie damit meinen, daß die Hetze, die der NPD seitens der Massenmedien zuteil wird, keinen Anklang mehr findet bei der Bevölkerung, ja, das streben wir an.“ Und auf diesem Weg sei man schon ein Stück vorangekommen. „Heute gehören wir zum Stadtbild.“

 

 

(c) 2000 Die Woche

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