Der folgende Text von uns erschien im Rahmen unserer Arbeit zum Thema Europa im Juni 05 in der Jungle World

Das Scheitern der Referenden schwächt das Projekt Europa und eröffnet die Chance auf eine Verschärfung der Kritik. von der gruppe lif:t, trier

Die Ablehnung der europäischen Verfassung wird die konkrete Politik der EU nicht verbessern, weil erst einmal alles bleibt, wie es ist - und das ist schlimm genug. Die Ablehnung bedeutet aber einen Rückschlag in dem Bestreben der EU, die eigene Souveränität zu festigen, sich institutionell zu modernisieren und als Akteurin mit Weltmachtanspruch zu etablieren.

Die extreme Rechte, die vor allem im französischen Diskurs dazu diente, die linken »Abweichler« zu diskreditieren, spielte dabei letztlich nur eine minoritäre Rolle. Ihre Bedeutung wurde von der Regierung künstlich dramatisiert, um einen »Rally 'round the Flag«-Effekt zu erzeugen. Tatsächlich aber ist Europa kein Gegengewicht zum Nationalismus, sondern transportiert längst eine modernisierte, europäisierte Form desselben. Wenn Chirac davon spricht, dass es nun, ohne Verfassung, schwieriger geworden sei, »die Interessen Frankreichs in Europa« zu verteidigen, so hat er sicherlich insofern recht, als heute nationales und europäisches Interesse oft zusammenfallen. Und gerade für Deutschland ist Europa der Weg, wieder ein salonfähiges Nationalgefühl zu entwickeln, indem die deutsche Geschichte in der »gemeinsamen« europäischen Vergangenheit aufgelöst wird und Deutschland im Schoße der »Gemeinschaft« mit gutem Gewissen wieder nach Macht und Einfluss streben darf. Schließlich wird durch die gemeinsame »europäische Nation«, die gerne im Gegensatz zu den USA konstruiert wird, eine neue nationalistische Metaebene gepflegt, die das europäische Großmachtstreben legitimieren soll.

In dieser Situation hat die Ablehnung der Verfassung, so vielfältig und manchmal fragwürdig die Motive dafür im Einzelnen waren, die politischen Kräfteverhältnisse ins Wanken und die Modernisierung Europas ins Stocken gebracht. Dazu kommt die baldige Übernahme der EU-Präsidentschaft durch die dem Supra-Nationalismus gegenüber skeptischen Briten: Es ist nun eine Phase zu erwarten, in der keine richtungsweisenden Beschlüsse gefasst werden, und vorerst wird auch keine Rede mehr davon sein, dass eine »europäische Nation« die USA herausfordern könnte.

Entscheidender als dieser kleine Erfolg ist für uns aber die Frage, ob die radikale Linke es nun schafft, die dadurch eröffneten Perspektiven zu nutzen. Das Nein war nämlich nicht vorgesehen im europäischen Drehbuch. Dadurch, dass es sich durchgesetzt hat, wurde die vermeintliche Zwangsläufigkeit der Geschichte in Frage gestellt, in einer Weise, auf die die europäischen Regierungen offensichtlich nicht vorbereitet waren. Es ist auf einmal ein politischer Raum geöffnet worden, der gefüllt werden kann. Das stellt die Linke vor die ungewohnte Möglichkeit, zu agieren. Dazu muss sie sich auf einige alte Fragen besinnen: Wie kann mensch Widersprüche aufgreifen und zuspitzen? Wie kann das Nein zur Verfassung in ein Nein zu den Verhältnissen radikalisiert werden? Und wie kann aus dem Nein ein Ja werden, ein Ja zu einer emanzipatorischen Alternative?

Wenn wir es verschlafen, auf diese Fragen Antworten zu finden, ist die Zukunft absehbar: Der entstandene politische Raum wird von halbgaren Diskursen um ein »besseres Europa« besetzt werden, und schließlich überlegen sich die europäischen Regierungen etwas Neues. Anstelle des Plebiszits werden einige gemäßigte NGO durch Partizipationsangebote eingebunden, um mit etwas vorsichtigeren Formulierungen und Verfahrensweisen, ausgestattet mit der Legitimation der Einsichtigen, das »alte Europa« wieder auf Kurs zu bringen.

Damit dies nicht geschieht, muss die Linke sich von der Hoffnung auf ein nun vom Himmel fallendes »soziales und ziviles Europa« lossagen, vom unreflektierten Nein übergehen zu einer Kritik der EU als kapitalistisches Modernisierungs- und Großmachtprojekt. Dazu gehört auch, die identitäre Konstruktion anzugreifen, um sich nicht vor den Karren eines »besseren Europa« spannen zu lassen.

Die Debatte um die EU-Verfassung war notwendig verkürzt, sie hat einige Sollbruchstellen freigelegt, nicht mehr und nicht weniger. Jetzt muss nachgelegt werden. Bis Ende Juni noch hat Luxemburg die EU-Ratspräsidentschaft inne. Der anstehende anti-europäische Gegengipfel Mitte Juni bietet hier eine Gelegenheit, eine antinationale, antikapitalistische Kritik an Europa weiterzuentwickeln und inhaltlich auf die Höhe der Zeit zu bringen.

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