Unser Beitrag zu "30 Jahre deutscher Herbst". Was die RAF kann, koennen wir schon lange:

Auflösungserklärung


Vor fast 3 Jahren entstand in einer Gaststätte an der Mosel die Gruppe lif:t. Heute beenden wir dieses Projekt.

Wir, das sind alle, die bis zuletzt in der Gruppe lif:t organisiert gewesen sind. Wir tragen diesen Schritt gemeinsam. Wir stehen zu unserer Geschichte. Die Gruppe lif:t war der revolutionäre Versuch einer Minderheit, entgegen der Tendenz dieser Gesellschaft, zur Umwälzung der kapitalistischen Verhältnisse beizutragen. Wir sind froh, Teil dieses Versuchs gewesen zu sein. Das Ende dieses Projekts zeigt, daß wir auf diesem Weg nicht durchkommen konnten. Aber es spricht nicht gegen die Notwendigkeit und Legitimation der Revolte. Die Gruppe lif:t ist unsere Entscheidung gewesen, uns auf die Seite derer zu stellen, die überall auf der Welt gegen Herrschaft und für Befreiung kämpfen. Für uns ist diese Entscheidung richtig gewesen.

Wir haben die Konfrontation gegen die Macht gewollt. Wir sind Subjekt gewesen, uns vor 3 Jahren für die Gruppe lif:t zu entscheiden. Wir sind Subjekt geblieben, sie heute in die Geschichte zu entlassen.

Das Ergebnis kritisiert uns. Aber die Gruppe lif:t - ebenso wie die gesamte bisherige Linke - ist nichts als ein Durchgangsstadium auf dem Weg zur Befreiung. Der Kampf im gesellschaftlichen Riß, den unsere Feindschaft markierte, griff einer wirklich gesellschaftlich werdenden Befreiung nur voraus: der Riß zwischen einem System, in dem der Profit das Subjekt, der Mensch das Objekt ist, und der Sehnsucht nach einem Leben ohne den Lug und Trug dieser sich sinnentleerenden Gesellschaft.


Die Gruppe lif:t entstand aus der Hoffnung auf Befreiung

Mit dem Mut im Rücken, der von den Gruppen des Südens (Saarbrücken, Landau) bis in die reichen Länder des Nordens (Koblenz, Köln) ausstrahlte, entstand 2004 die Gruppe lif:t, um aus der Solidarität mit den Befreiungsbewegungen einen gemeinsamen Kampf aufzunehmen. Der Samstag-Nachmittags-Kampf war in vielen Teilen der Welt die Hoffnung auf Befreiung. Auch in der BRD sind es viele Dutzende gewesen, die mit den Demonstrationen in Trier, Luxemburg, Saarland solidarisch waren. Die Gruppe lif:t entstand als Konsequenz aus den Diskussionen einer armseligen Handvoll, die sich in der BRD am Anfang der 2000er Jahren mit dem Salonkommunismus als Weg zur Befreiung auseinandersetzten.

Die Gruppe lif:t hatte alles in die Waagschale geworfen und eine große Niederlage erlitten. Im Kampfprozeß hatte sich herausgestellt, daß die Gruppe lif:t aus dem 2004er Aufbruch mit nur wenigen anderen übriggeblieben war. Viele hatten sich zurückgezogen und nutzten ihre Chancen zur Karriere im System. Es konnte nur um ein neues Befreiungskonzept gehen.

Die Theoriekonzentraion der Jahre 2006/07 war der Versuch, dies zu erreichen. Doch das Konzept hielt im wesentlichen an den Grundzügen des alten Projektes aus den vorigen Jahren fest. Das "Flugblatt" blieb das zentrale und bestimmende Mittel des gesamten revolutionären Prozesses.

Die Gruppe lif:t ging davon aus, daß sie in dieser neuen Etappe nicht alleine bleiben würde. Doch dieses Konzept enthielt keinen Ansatz, der damit umging, daß in dieser gesellschaftlichen Situation nur die wenigsten einen Sinn in der Lektüre Adornos und Postones sahen. Kritik, deren zentrales Moment das des reflexiven Gedankens ist, macht nur Sinn, wenn es eine Chance gibt, daß Kräfte in der Gesellschaft bereit sind, ihn aufzunehmen; wenn es eine Chance gibt, daß er sich ausweitet - und wenn es wenigstens auf den radikaleren Teil der Bewegungen ist.

Aber selbst die, die solidarisch waren - und das waren wenige -, haben den Kampf mit dieser Vorstellung nicht aufgenommen. Der Theoriesalon braucht die Perspektive auf die Ausweitung auf eine neue intellektuelle Ebene. Diese existenzielle Entwicklung haben wir nie erreichen können. Das Flugblatt konnte das neue Befreiungsprojekt, das die Trennungen aufhob, nicht sein.Ein Grundfehler.

Die Subsumierung jedes sozialen und politischen Inhalts unter die kritische Analyse des "Gesamtsystem" führte zu einer Unidentifizierbarkeit an konkreten Fragen. Die Wirkung in die Gesellschaft blieb bewusst begrenzt, denn die Vorstellung durchzukommen, indem gesellschaftliches Bewußtsein geschaffen wird und so der Konsens zwischen Staat und Gesellschaft aufgebrochen werden kann - ein zentrales Moment jedes revolutionären Prozesses -, war angesichts der weltweiten Formierung zum antisemitischen Hetzkollektiv nicht mehr aufrechtzuerhalten. Statt dessen versuchte die Gruppe lif:t, durch die Schärfe des Angriffs das Herrschaftsgefüge zu zerrütten. Die Priorität verschob sich zugunsten des theoretischen Moments. Diese Gewichtung im Kampfprozeß blieb durch die ganzen zwei Jahre hindurch erhalten und prägte unseren Kampf.

Es bestand eine große Diskrepanz zwischen der Bereitschaft in der Diskussion alles zu geben, und der gleichzeitigen Abscheu, eine pseudoradikale Praxis zu betreiben. In dieser Hinsicht wurde wenig riskiert. In dieser Zeit gab es auch eine Entwicklung auf unserer Seite, die von einem manchmal mit demonstrativ kalter Konsequenz betriebenen Zynismus geprägt war - zu weit entfernt von allem, was Befreiung ist.

Es war dennoch eine Zeit, in der die Gruppe lif:t durch alle Härten und Niederlagen hindurch mit ihrer Entschiedenheit zeigten, daß sie im Gang der Geschichte unkorrumpierbar geblieben waren. Das machte aber niemandem Hoffnung und zog niemanden an, denn der Kampf um Kollektivität war den meisten lieber. Die Konsequenz und Kompromißlosigkeit der Gruppe lif:t gegen die Macht sowie der Musikgeschmack stand gegen jeden Versuch, die Kämpfe für ein anderes Leben zusammen mit Grönemeyer durchzuführen.

Es war eine Zeit, in der wir nach Neuem suchten, aber - behaftet von den vorangegangenen Jahren - nicht radikal genug über das Alte hinausgingen. Die Krise, in der die Linke der 90er Jahre an ihre Grenzen kam und sich bereits in Auflösung befand, machte unseren Versuch, die Gruppe lif:t in ein neues Projekt einzubinden, zu einer unrealistischen Sache. Wir waren viel zu spät - auch dafür, um die Gruppe lif:t nach einem Prozeß der Reflektion zu transformieren. Kritik und Selbstkritik haben ja nicht das Ziel, etwas zu beenden, sondern etwas weiterzuentwickeln. Das Ende der Gruppe lif:t ist letztlich keine Folge unseres Prozesses der (Selbst-)Kritik und Reflexion, sondern es ist notwendig, weil die Konzeption der Gruppe lif:t nicht das enthält, woraus jetzt etwas Neues entstehen kann.

Wenn wir diesen Abschnitt unserer Geschichte heute in den gesamten historischen Prozeß einordnen, dann müssen wir erkennen, daß ein Sinn, der eine Perspektive jenseits von Arbeitsgesellschaft und menschenfeindlicher, profitorientierter Ökonomie eröffnet, der dann die Grundlage des Befreiungskampfes der Zukunft sein kann und viele wird zusammenbringen können, kaum mehr existiert. Wir waren uns sicher, daß wir unsere Ziele richtig bestimmt hatten, jedoch einfach nur zu verpeilt waren. Wir wollten noch einmal mit denen, die neu an den Unis waren, alles zusammen durchdenken und gemeinsam eine neue Etappe beginnen. Doch am Ende zeigte sich in der Spaltung eines Teils der Bewegung von uns, die wir zu Feinden erklärten, daß die Entstehungsbedingungen der Gruppe lif:t bereits vollständig verraucht waren.


Unser Prozeß der eigenen Befreiung ...

... ist uns wichtig gewesen und dennoch immer wieder stagniert. Wir wollten Rotwein und Baguette genauso wie die individuelle Überwindung jeglicher Entfremdung. Aber der Widerspruch zwischen Diskussionsabenden und Befreiung ist bei uns oft verdrängt und weggeredet worden. Auch der Adorno-Lesezirkel produziert Entfremdungen und Zynismus. Diese Schwäche hat auch dazu beigetragen, daß unsere Organisation am Ende der über mehr als zwei Jahre langen Etappe nicht mehr transformiert werden konnte. Die Voraussetzungen waren nicht vorhanden.

Das Ende der Gruppe lif:t fällt in eine Zeit, in der die ganze Welt mit den Folgen des Antisemitismus konfrontiert ist. Der internationale Kampf gegen Ausgrenzung und für eine gerechte und grundsätzlich andere soziale Realität steht gegen die gesamte regressive Entwicklung der Linken. Daher besteht kein Widerspruch, unser Projekt zu beenden und weiterhin die Notwendigkeit zu sehen, daß alles getan werden muß, was sinnvoll und möglich ist, damit eine Welt jenseits des Kapitalismus entstehen kann, in der die Emanzipation der Menschheit Wirklichkeit werden kann. Aus den antiemanzipatorischen Erfahrungen mit den autoritären Konzepten des Antiimperialismus sind die Konsequenzen für die zukünftigen Wege der Befreiung noch zu ziehen.

Die Gruppe lif:t stand immer im Widerspruch zu den Bewußtseinsmentalitäten eines Großteils dieser Gesellschaft. Das ist ein notwendiges Moment des Befreiungsprozesses, denn nicht nur die Verhältnisse sind reaktionär, sondern die Verhältnisse produzieren das Reaktionäre in den Menschen, das ihre Fähigkeit zur Befreiung immer wieder neu unterdrückt. Ohne Zweifel ist es existenziell, Antisemiten entschieden entgegenzutreten und sie zu bekämpfen. Befreiungsentwürfe der Zukunft werden sich daher auch daran messen lassen müssen, IDF und USA gegen das reaktionär eingeschlossene Bewußtsein zu unterstützen und so das Bedürfnis nach Emanzipation zu bewahren.

Die Realität der Welt zeigt heute, daß es besser gewesen wäre, der regionale Aufbruch, aus dem auch die Gruppe lif:t kam, wäre durchgekommen. Der regionale Aufbruch, aus dem auch die Gruppe lif:t kam, ist nicht durchgekommen, was bedeutet, daß die zerstörerische und ungerechte Entwicklung bis jetzt noch nicht umgedreht werden konnte. Schwerer als Fehler, die wir gemacht haben, wiegt für uns, daß wir noch keine ausreichenden Antworten auf diese Entwicklung sehen.


Die Gruppe lif:t ist die Antwort für die Befreiung noch nicht gewesen - nichtmal ein Aspekt von ihr

Auch wenn heute noch so viele Fragen offen sind, sind wir uns sicher, daß aus der Befreiungsidee der Zukunft nur dann der Kern freier Verhältnisse entstehen kann, wenn sie die tatsächliche Kritik in sich trägt, an der die Verhältnisse umgeworfen werden müssen. "Die richtige Linie" muss gefunden werden. Das Befreiungsprojekt der Zukunft kennt eine präzise Kritik statt einer Beliebigkeit von Aspekten und Inhalten. Insofern kann das Befreiungsprojekt der Zukunft in keinem der alten Konzepte der BRD-Linken - weder der Antifa noch der Linkspartei - gefunden werden. Die Mühe, ein umfassendes, ein antiautoritäres und dennoch verbindlich organisiertes Projekt der Befreiung aufzubauen, liegt total verbraucht und gescheitert vor uns. Wir sehen, daß es auch in diesem Teil der Welt überall Sackgassen gibt. Uns machen auch diejenigen die Hoffnung kaputt, die überall bis in die abgelegensten Winkel, von Caracas bis Teheran, sich mit Rassismus und Neonazis zusammenzutun.

Es ist notwendig zu sehen, daß wir uns in einer Sackgasse befinden, und keine Wege aus ihr heraus finden. Da kann es auch völlig richtig sein, etwas, was man theoretisch auch sinnlos weiterführen könnte, loszulassen. Unsere Entscheidung, etwas zu beenden, ist Ausdruck des puren Zynismus. Wir wissen, daß uns dies mit vielen auf der ganzen Welt verbindet. Es wird noch viele Diskussionen geben, bis alle Erfahrungen zusammen ein realistisches und reflektiertes Bild der Geschichte ergeben.

Die Gruppe lif:t hat auf einem gesellschaftlichen Terrain den Kampf aufgenommen und mehr als zwei Jahre zu entwickeln versucht, das historisch von wenig Widerstand und dem Ausbleiben einer Bewegung gegen den Faschismus, dafür um so mehr von einer zu Faschismus und Barbarei loyalen Bevölkerung geprägt war. Die Befreiung vom Faschismus mußte anders als in anderen Ländern von außen kommen. Einen selbstbestimmten Bruch "von unten" mit dem Faschismus gab es hier nicht. Es sind in diesem Land wenige gewesen, die sich gegen den Faschismus stellten; zu wenige, die die Spur der Menschlichkeit legten. Sie, die im jüdischen, im kommunistischen - und in welchem antifaschistischen Widerstand auch immer - kämpften, sind uns wichtig gewesen. Und das werden sie immer sein. Sie waren die wenigen Lichtblicke in der Geschichte dieses Landes, seitdem der Faschismus '33 begonnen hatte.


Wir haben komplexe Verhältnisse mit langen Flugblättern beantwortet!

Es ist uns nicht möglich, auf eine glatte und fehlerlose Geschichte zurückzublicken. Aber wir haben etwas versucht und dabei viele von den Herrschenden gesetzte und von der bürgerlichen Gesellschaft verinnerlichten Grenzen überschritten. Die Gruppe lif:t konnte keinen Weg zur Befreiung aufzeigen. Aber sie hat mehr als zwei Jahre dazu beigetragen, daß es viele ungelesene Flugblätter heute gibt. Die Systemfrage zu stellen, war und ist legitim - und erfolglos.

Aus dem Kampf der Gruppe lif:t sind immer noch frühere Mitglieder in der "Szene". Wir unterstützen alle Bemühungen, die dazu führen, daß sie aufrecht rauskommen.

Wir möchten in diesem Moment unserer Geschichte alle grüßen und ihnen danken, von denen wir auf dem Weg der letzten 3 Jahre Solidarität bekommen haben, die uns in verschiedenster Weise unterstützt haben und die von ihrer Grundlage aus mit uns zusammen gekämpft haben.

Wir denken an alle, die überall in der Region im Kampf gegen Herrschaft und für Befreiung ihre Samstage und Mittwochabende verloren haben. Die Ziele, für die sie sich einsetzten, sind die Ziele von heute und morgen - bis alle Verhältnisse umgeworfen sind, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Sie leben in den Kämpfen und der Befreiung der Zukunft weiter.

Die Revolution sagt:

machts gut und danke für den fisch,

Gruppe lif:t

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