Der Verfassungsschutz macht Meinungen


Anetta Kahane, Zentrum für Demokr. Kultur:
"Dieser Film, mit dieser Aussage den halte ich für einen politischen Skandal ohne gleichen."

Auslöser des Skandals ist dieser Film. Ein Film, der laut Titel den Anspruch erhebt, über Extremismus aufzuklären. Produziert für 30.000 DM im Auftrag des Verfassungsschutzes - also mit öffentlichen Geldern.
Am 29. Mai wurde das Werk hier in der Jenaer Rathausdiele vorgestellt. Der Thüringer Innenminister höchstpersönlich präsentierte den Dokumentarfilm "Jugendlicher Extremismus".
Heidi Becker wurde mit ihren Schülern eigens vom Innenministerium telefonisch zu dieser Veranstaltung eingeladen. Was die erfahrene Lehrerin dann zu sehen bekam, macht sie ärgerlich.
Heidi Becker, stellv. Schulleiterin Angergymnasium:
"Ich würde den Film nicht zeigen wollen, weil ein großes Wirrwarr und Durcheinander an Begrifflichkeiten herrscht, weil keine klare Auskunft gegeben wird darüber was ist eigentlich Extremismus, Radikalismus; es wird rechte Gewalt, linke Gewalt viel zu sehr gleichgesetzt und das stimmt für meine Verhältnisse gesehen einfach mal gar nicht."

Extremismus-Experten wie Anetta Kahane vom Zentrum für Demokratische Kultur in Berlin kritisieren den Film noch schärfer:
"In einer Weise verharmlost er die Situation und macht analyseunfähig, dass es gefährlich ist den an den Schulen zu zeigen."

Ein Hauptvorwurf: Rechtsradikale wie Tino Brandt können minutenlang statements abgeben, deren Inhalt von niemandem ausreichend eingeordnet wird.
Tino Brandt:
"Wir sind prinzipiell gegen Gewalt, von dieser Gruppe geht keine Gewalt aus."

Doch Tino Brandt kann auch anders, wie Nachfragen des MDR-Politmagazins WIR beweisen.

Frage:
"Wie stehen sie zu Juden in Deutschland?"
Tino Brandt:
"Das ist allerdings eine Frage auf die ich mich nicht äußern will, da ich mich da leider strafbar machen würde."

Tino Brandts Organisation ist der Thüringer Heimatschutz - laut Verfassungsschutzbericht eine rechtsextreme und militante Kameradschaft. In diesem Film kommt noch ein anderes Mitglied zu Wort, Andre Kapke. Auch bei ihm ist es für den Zuschauer nicht möglich, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden.

Anetta Kahane:
"Das ist eine derartige Verharmlosung der Anti-Antifa mit ihren militanten Strukturen dass ich das gar nicht fassen kann. Also ich kenne den Andre Kappke als Sprecher des Thüringer Heimatschutzes aus ganz anderen Situationen, wo Leute, die zu Veranstaltungen eingeladen wurden um da zu referieren wie Bernd Wagner massiv angegriffen und bedroht wurden, und da hat er ein ganz anderes Gesicht, ich verstehe nicht wie man ihn hier so etwas sagen lassen kann."

"Wir haben euch was mitgebracht Hass, Hass, Hass"

Keine Zahlen über Opfer rechter Gewalt, keine Zahlen über die zunehmende Aggression. Stattdessen im Film: der inzwischen suspendierte Chef des Thüringer Verfassungsschutzes Helmut Roewer mit einer seltsamen Einordnung:

Helmut Roewer:
"...das Schmieren von Hakenkreuzen, das Sieg-Heil Gebrüll sind Straftaten in Deutschland, in anderen Ländern ist das ganz anders, aber bei uns wird das bestraft, und so kommt es dann auch zu Straftatenstatistiken die in der Summe her hoch erscheinen, immerhin über 1.000 Straftaten im Jahr, die ganz ganz überwiegende Masse sind solche Propagandadelikte..."

Anetta Kahane:
"Der Mann ist ja irgendwie Verfassungsschützer und nicht Verfassungsrichter. Er hat überhaupt keine Meinung darüber abzugeben ob Straftaten relevant sind oder irrelevant sind. Das sind Straftaten in der Bundesrepublik Deutschland und nicht ohne Grund, und müssen auch als solche betrachtet werden."

Und die Thüringer Zahlen sprechen für sich:
Rechtsextremistische Straftaten insgesamt: 1.118, Linksextremistische 52.
Körperverletzungen 38 im Vergleich zu 3.
18 mal Sachbeschädigungen von Rechtsextremisten, 4 mal von Linksextremisten.
Auch dieser historische Exkurs in den Nationalsozialismus ist umstritten - vor allem die Darstellung der Jugend des dritten Reiches als missbrauchtes Opfer:

Anetta Kahane:
"Also wie man sozusagen erstmal diese Legende von der verführten deutschen Jugend hier nochmal propagieren kann das find ich unglaublich für einen Film, der an Schulen in der Bundesrepublik Deutschland, also in einem demokratischen Rechtsstaat, gezeigt werden soll. Das geht dann übergangslos über zu diesem Herrn hier der ja dieser militanten neonazistischen Gruppe angehört, und jetzt werden nochmal Bilder aus der Wochenschau gezeigt, die die Opfer des Krieges beklagen, aber überhaupt nicht drauf eingehen, dass dieses menschenverachtende System des Nationalsozialismus aus rassistischen Gründen Massenmord betrieben hat, so dass man fast glauben kann dass das so eine neue Art des Geschichtsrevisionismus ist, der keine rassistischen Opfer kennt, weder damals noch heute"

Besonders pikant - der Autor des Filmes Reyk Seela ist heute für die CDU Abgeordneter im Thüringer Landtag, Parteifreund des Innenministers. Christian Köckert als oberster Dienstherr des Verfassungsschutzes trägt die politische Verantwortung für den Film. Der Minister, der noch vor 6 Wochen 200 Schüler zur Präsentation einlud, bemüht sich jetzt um Relativierung .

Christian Köckert CDU, Innenminister Thüringen:
"Der Vorwurf der dem Film oft gemacht wird - er wäre zu einseitig, er würde zu wenig differenzieren usw. dieser Vorwurf geht von einer Haltung aus die voraussetzt der Film würde Antworten geben wollen. Ich sehe den Film als einen, der die Diskussion eröffnet, der im Grunde genommen Fragen aufwirft über die dann weiter diskutiert werden muss, gesprochen werden muss."

Anetta Kahane:
"Also in Anbetracht der Qualität des Films, der politischen Analyse, halte ich das für einen Skandal dass dafür öffentliche Mittel ausgegeben werden, die sehr viel besser angewendet werden könnten, um diejenigen zu unterstützen, die in der Tat Rechtsextremismus vor Ort effektiv bekämpfen können."