Jenaer Notizen
Die Stadt Jena gehört zu jenen Städten in
Ostthüringen, in denen sich der Rechtsextremismus seit Jahren etabliert hat.
Die örtliche Neonaziszene agiert dabei nicht lokal begrenzt, sondern vor allem
in Ostthüringen, aber auch in bundesweiten Zusammenhängen vernetzt. Im
Folgenden wird der Versuch unternommen, historische und organisatorische
Liniennachzuzeichnen. Dabei kann allerdings Jena nicht isoliert betrachtet
werden, da ansonsten die regionalen Vernetzungen nicht in den Blick kommen.
Zunächst aber noch einige Anmerkungen zur
Stadt selbst: Jena hat knapp 100.000 Einwohner, davon etwa 95.000 mit deutscher
Nationalität. Die Arbeitslosenquote liegt leicht unterhalb des thüringischen
Durchschnitts bei derzeit etwa fünfzehn Prozent. Die Stadt ist Sitz der Friedrich-Schiller-Universität
mit etwa 14.000 und einer Fachhochschule mit 3.200 Studierenden. Der
wirtschaftliche Schwerpunkt liegt in der opto-elektronischen Industrie, darüber
hinaus gibt es traditionsreiche Unternehmen der Glas- sowie der
Pharmaindustrie. Viele Unternehmen sind in weltweite Zuliefer- und
Abnehmerbeziehungen integriert, zumindest die JENOTIK AG als wohl bekanntestes
ortsansässiges Unternehmen rühmt sich, in den Jahren seit 1990 zum „global
player“ geworden zu sein.
* Genese
des Rechtsextremismus
Jena gehört zu jenen ostdeutschen Städten,
in denen Neonazis auch vor 1989 aktiv waren. Bereits in den achtziger Jahren
gab es hier eine Szene, die durch ihr Auftreten als Skinheads Opposition zur
DDR demonstrierte. Dies als unpolitische oder jugendkulturelle Opposition gegen
ein autoritäres System charakterisieren zu wollen, greift zu kurz: Gerade Jena
war in diesen Jahren auch Ort einer linksalternativen Opposition, nicht zuletzt
der Friedensbewegung: Sich hier als Skinhead zu bewegen, musste und sollte deutlich
und bewusst als neofaschistische Variante der Opposition aufgefasst werden. Im
Übrigen wurden rechte Gruppen seinerzeit auch in benachbarten Städten und
Dörfern erfasst, so in Gera und Saalfeld, Kahla und Stadtroda. Nachweisbar sind
auch überregionale Kontakte bis hin nach Berlin.
* Zwischen
zwei Republiken
Ab 1989/90 konnten die bereits agierenden
Neonazis offen auftreten und werben. Als Rädelsführer traten diejenigen auf,
die schon seit Jahren aktiv waren und dies zumindest zum Teil noch heute sind.
Überfälle auf definierte Gegner gehörten zum Alltag: Mehrfach wurden Ausländer
angegriffen, ebenso das alternative Jugendzentrum „Kassablanca“ sowie ein
Wohnprojekt linksalternativer Jugendlicher in der Karl-Liebknecht-Straße 58.
Auch die Junge Gemeinde Stadtmitte (JG), Treffpunkt linksalternativer
Jugendlicher, war wiederholt Objekt der Aggression. Am 20. April 1990 wurde der
Geburtstag Hitlers mit Reichskriegsflagge „gefeiert“, am Himmelfahrtstag
(„Herrentag“) sowie in der Nacht zum 3. Oktober 1990 jeweils das genannte
Wohnprojekt überfallen. Dies alles setzte sich 1991 mit gleichen Zielen fort,
im Zentrum standen die JG, das „Kassablanca“ sowie ein neues Wohnprojekt in der
Elsa-Brandström-Straße 6. Im Juni und September diesen Jahres wurden zudem organisierte
Überfälle gegenüber türkischen bzw. vietnamesischen Staatsbürgern registriert.
(Rainer Fromm: Rechtsextremismus in Thüringen, Erfurt 1992, S. 9)
Zu dieser Zeit gab es ausgeprägte Kontakte
sowohl zur damals noch nicht verbotenen FAP als auch zur NPD, die beide in
Thüringen feste Strukturen entwickelten. Eine der zentralen Personen dabei war
der Weimarer Thomas Dienel, einst FDJ-Sekretär, nun am Auf- und Ausbau der
NPD-Strukturen beteiligt. 1991 trat Dienel aus der NPD aus und gründete 1992
die „Deutsch Nationale Partei“ (DNP), die regional auf Thüringen beschränkt
blieb. Im September 1992 berichtete das Fernsehen darüber, dass DNP-Mitglieder Wehrsportgruppen
trainierten. Dienel wurde inhaftiert und verurteilt, gehört aber bis heute zu
den wichtigsten Drahtziehern im rechten Netz Thüringens - und dies mit engen
Kontakten auch zu Jenaer Neonazis. (u.a. im Rahmen der „Deutschen Alternative“,
vgl. Bernd Wagner, Hg.,: Handbuch Rechtsextremismus, Handbuch 1994, S. 81 und
S. 85)
* Massenaufmarsch
in Rudolstadt
Am Abend des 15. August 1992 blickte die
Öffentlichkeit entsetzt auf Rudolstadt, vierzig Kilometer von Jena entfernt:
Fast 2.000 Neonazis aus dem In- und Ausland konnten hier nahezu unbehelligt
einen „Rudolf-Hess-Gedenkmarsch“ durchführen. Daran war natürlich auch die
gesamte Thüringer und Jenaer Szene beteiligt. In Jena selbst treten Neonazis
weiterhin offen auf: Tagelang befindet sich
ein kleines Zeltlager im Stadtteil Lobeda,
von dem aus wiederholt Menschen angegriffen werden.
* Die
„Republikaner“
1993 erhielten die „Republikaner“ größere Aufmerksamkeit:
Die Stadtratsfraktion der DSU löste sich auf, zwei Stadtverordnete traten den „Republikanern“
bei und verschafften ihr somit eine Vertretung im Stadtparlament. Öffentliche
Proteste blieben begrenzt, allerdings auch die Dauer der parlamentarischen
Präsenz: Bei den Kommunalwahlen 1994 scheiterte die Partei an der
Fünf-Prozent-Grenze. Einer der beiden Repräsentanten, Dr. Heinz-Joachim
Schneider, als Angestellter bei der JENOPTIK AG beschäftigt, schaffte einige
Jahre später die Wahl in den Ortschaftsrat Lobedas, mit 30.000 Menschen größter
Stadtteil Jenas. Seit August 1998 ist er Vorsitzender des Landesverbandes
Thüringen seiner Partei. Die „Republikaner“ werden übrigens erst seit Februar
1995 vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet, obwohl bereits seit Anfang
1992 ein Landesverband besteht. (Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen
1998, S. 15)
* Anti-Antifa
1994 trat erstmals die sogenannte
„Anti-Antifa Ostthüringen“ an die Öffentlichkeit. Sie begreift sich als Bestandteil
der militanten Neonazi-Szene mit einem Schwerpunkt in der Beobachtung und
Bedrohung von Antifaschisten. Auf Bundesebene wurde das Anti-Antifa-Konzept
1992/93 begründet und mit der Veröffentlichung einer Liste von potentiellen
Opfern im „Einblick“ in seiner Zielrichtung publik.
Führender Kopf in Ostthüringen ist Tino
Brandt aus Rudolstadt, 1992 an der Organisation des Rudolf-Hess-Marsches
beteiligt und 1994 Organisator eines Skin-Konzertes in Rudolstadt. Anti-Antifa
und Tino Brandt arbeiten eng mit anderen neonazistischen Organisationen und
Personen zusammen und integrieren sich in bundesweite Zusammenhänge. Seit 1996
firmiert die Anti-Antifa Ostthüringen als „Thüringer Heimatschutz“ (THS). Der
Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz schreibt 1998: „Die Zahl der
Beteiligten erhöhte sich von anfangs 20 auf ca. 120 Personen. Diese Gruppierung
bildete ein Sammelbecken für Neonazis, die hauptsächlich aus dem Raum Saalfeld/Rudolstadt,
Gera, Jena, Sonneberg, Weimar, Ilmenau, Gotha, Kahla und Nordbayern kamen.“
(Ebenda, S. 30) Der THS gliederte sich in diesem Jahr in drei „Sektionen“:
Jena, Saalfeld, Sonneberg. Zu den führenden Figuren neben Tino Brandt zählt
seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre der Jenaer André Kapke.
* Bombenbastler
Im September 1997 wurde am Jenaer Theater
ein Koffer mit einigen Gramm Sprengstoff, jedoch ohne Zünder gefunden. Außen
war er mit einem Hakenkreuz versehen. Andernorts tauchten weitere
Bombenattrappen auf. Am 26. Januar 1998 durchsuchte die Polizei mehrere
Wohnungen und Garagen in Jena. Obwohl sie in den Tagen zuvor zum Teil
observiert wurden und zum Teil gar inhaftiert waren, konnten die THS-Mitglieder
Uwe Bönhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe untertauchen. Sie waren der
Herstellung von Bombenattrappen und Sprengkörper verdächtig, bei der
Durchsuchung wurden u.a. vier
funktionsfähige Rohrbomben gefunden. Den
drei genannten Personen gelang die Flucht, sie wurden bis heute nicht gefasst.
Der zuständige Staatsanwalt Arndt Köppen aus Gera mochte weder bestätigen noch
dementieren, dass der Sprengstoff aus einem Überfall im Jahre 1991 auf eine
Bundeswehrkaserne im nahen Großeutersdorf (bei Kahla) stammte. (TAZ vom 4. März
1998)
* Staatliche
Förderung eines Neonazi-Projektes
Ermittelt wurde in diesem Zusammenhang
auch gegen Andre Kapke, eng mit den drei Flüchtigen befreundet. Allerdings
blieben diese Ermittlungen ergebnislos. Kapke konnte sich indes über eine neue
Verdienstquelle freuen: Mit 23´000,- DM Existenzgründungshilfe aus dem
Thüringer Sozialministerium wurde im November 1997 in Erfurt unter dem Namen
„Neues Denken“ ein rechtes Zeitungsprojekt konstituiert, an dem sowohl Thomas
Dienel als auch Kapke mitarbeiten, darüber hinaus auch ein Aktivist der
Deutschen Volks-Union (DVU) Gerhard Freys. Das Landesamt für Verfassungsschutz
schien ahnungslos, erst Medienveröffentlichungen stoppten den Skandal.
Angesichts der erhobenen Rückzahlungsforderungen leiteten die rechten
Jungunternehmer ein Gesamtvollstreckungsverfahren ein, so dass die
Rückforderungen ins Leere liefen. So endete das Kooperationsprojekt des THS,
der DVU und Thomas Dienels im Mai 1998.
* Schwerpunkt
Saalfeld
Ebenfalls 1997 gelang es der organisierten
Rechten, eine Gaststätte in Heilsberg bei Saalfeld anzumieten. Hier fanden ab
jetzt regelmäßige „Mittwochstreffs“ und andere Veranstaltungen statt, Heilsberg
entwickelte sich bis zur Kündigung durch den Vermieter 1998 zum logistischen
Zentrum insbesondere des THS. In einem Fernsehinterview teilte der Verfassungsschutzpräsident
des Landes Thüringen dazu mit, dies sei aus polizeilicher Sicht nicht
unerfreulich, die Beobachtung sei leichter, wenn man wisse, wo sich die Gruppe
treffe.
In diesem Zusammenhang konzentrierten sich
die Neonazis mehr und mehr auf Saalfeld und Umgebung, wo sie äußerst
erfolgreich an der Entwicklung einer „national-befreiten Zone“ im Stadtteil
Gorndorf und an der Hegemonie in einem dort neu eröffneten Stadtteilzentrum
arbeiteten. Auch hier waren Tino Brandt und Andre Kapke führend. Letztlich aber
konnte das Konzept verhindert werden: Im Umfeld der Durchsetzung des Verbots
einer antifaschistischen Demonstration in Saalfeld wurde Heilsberg im Oktober
1997 durchsucht und ein massives Waffenarsenal gefunden. Angesichts der Durchführung
einer großen Antifa-Demonstration im März 1998, die bundesweite Aufmerksamkeit
auf die Stadt lenkte, sowie der zehn Tage später erfolgten Ermordung einer Vierzehnjährigen
Saalfelderin durch einen Fünfzehnjährigen aus dem Umfeld der örtlichen rechten
Szene gerieten die neonazistischen Gruppen unter Druck. Ihre Bewegungsfreiheit
wurde eingeengt, Kapke und andere orientierten sich wieder mehr nach Jena. Hier
wurden zum Ende der neunziger Jahre hin einige neue bzw. akzentuiertere
Strategien sichtbar.
* Gegnerbezug
Zum einen arbeiten sich die Jenaer
Neonazis nun vermehrt an ihren selbsternannten Gegnern ab. Dies ist vor allem
die JG Stadtmitte, die sich sehr intensiv an Vorbereitung und Durchführung der
Antifa-Demonstration in Saalfeld beteiligt hatte. Wiederholt standen Neonazis
vor der JG und wollten entweder an Veranstaltungen „teilnehmen“ (s.u.) oder das
Gebäude stürmen. Am 10. Oktober 1998 beispielsweise konnte ein Überfall von
etwa vierzig Jenaer und Saalfelder Neonazis durch die Polizei verhindert
werden. Im Dezember 1999 wurde informell bekannt, dass die Jenaer Szene mit
erhoffter Verstärkung von außerhalb einen Überfall plant, da die Verstärkung
ausblieb, unterließen die etwa fünfzig bis sechzig bereits versammelten
Neonazis den Überfall.
* Der
Schafspelz
Zum anderen versucht der THS in der
bürgerlichen Öffentlichkeit, den Eindruck des gesprächsbereiten, selbst von
angeblicher „linker Gewalt“ betroffenen und von der Gesellschaft zu Unrecht
Ausgestoßenen zu erwecken. Immer wieder versuchen Ostthüringer Neonazis (mit
unterschiedlichem Erfolg) an öffentlichen Diskussionen teilzunehmen und diese
Bilder zu vermitteln.
Beispielhaft für diese Rolle ist der
Inhalt eines Flugblattes der Jungen Nationaldemokraten, das im Dezember 1999
auf dem Jenaer Weihnachtsmarkt verteilt wurde: „Aber wer sind diese Rechten
wirklich? Es ist die Jugend, die keiner will. Sie haben keine Clubräume oder
sonstigen Einrichtungen, die für sie da sind. Deshalb treffen sie sich auf
Straßen, hinter Plattenbauten oder auf Spielplätzen. Sie haben keinen
Jugendpfarrer, der sich um sie kümmert. Ihnen wird keine Möglichkeit zur
sinnvollen Freizeitgestaltung gegeben.“ (Flugblatt der Jungen
Nationaldemokraten Jena, „Denkanstöße zum Weihnachtsmarkt 99“)
Einige Beispiele für die Praxis der
„Teilnahme“ an Diskussionsveranstaltungen: Ende Januar 1998 wurde in Saalfeld
eine DGB-Veranstaltung „besucht“, die Diskussion dominiert, andere Teilnehmer eingeschüchtert
und fotografiert. Gleiches geschah im Mai 1998 bei einer Veranstaltung im
Saalfelder Stadtteil Gorndorf zum Thema „Grenzen und Möglichkeiten der
Sozialarbeit“. Im Januar 1999 bei einer von der Stadt eingeladenen
Diskussionsveranstaltung zum Thema „Rechtsextremismus“ in der Jenaer Integrierten
Gesamtschule dann eine andere Strategie: Hier verzichtete der THS auf direkte
Einschüchterung und konzentrierte sich auf eigene „Diskussionsbeiträge“, in
denen das Bild einer vernachlässigten und ausgegrenzten (rechten) Jugend
gezeichnet wurde. Ähnlich das Vorgehen im August und Dezember 1999 bei zwei von
SPD bzw. Friedrich-Naumann-Stiftung organisierten Veranstaltungen in Jena, bei
denen man sich hauptsächlich auf den anwesenden Präsidenten des Landesamtes für
Verfassungsschutz konzentrierte. Vergeblich Einlass suchten sie hingegen im
Oktober 1999 bei einem Diskussionsabend der JG Stadtmitte und im Februar 2000
bei einer Filmveranstaltung des DGB Filmveranstaltung des DGB im Jenaer Gewerkschaftshaus
zum Thema „Rechtsextremismus in Thüringen“.
* Rechtes
Organisationsangebot
Zum Dritten erfolgte nach der Abwahl des
ehemaligen NPD-Landesvorsitzenden Frank Golgowski (er war Anfang der neunziger
Jahre direkter Nachfolger Dienels in dieser Funktion) 1998 zwar eine engere
Anbindung an die NPD, gleichwohl aber agiert in Jena ein breites rechtes
Netzwerk, das kaum Konkurrenzverhalten erkennen lässt. Während die
Öffentlichkeit vielfach auf eine gegenseitige Neutralisierung konkurrierender
rechter Organisationen hofft, scheinen diese sich selbst mittlerweile eher zu
ergänzen. Was im Februar 2000 über die Nachbarstadt Gera geschrieben wurde,
gilt gleichermaßen für Jena: „Die Ausdifferenzierung der Neonazi-Szene in der Region
hat keineswegs zu deren Zersplitterung geführt, sondern allenfalls die Angebotspalette
für rechte Jugendliche erweitert.“ (Jungle World vom 9. Februar 2000)
Für die Öffentlichkeit wurde die
Kooperation erstmals am 18. Juli 1998 sichtbar, als der THS an einer
Wahlkampfkundgebung der Republikaner in Jena teilnahm. Hauptredner der
Republikaner war ihr Bundesvorsitzender Schlierer, der sich vom Auftreten des
THS jedenfalls nicht irritieren ließ und erst recht nicht abgrenzte. Im Januar
1999 traten bei der bereits erwähnten Diskussionsveranstaltung in der
integrierten Gesamtschule Jenas die rechten Gruppen wiederum in trauter
Gemeinsamkeit auf: Vertreter der Republikaner und einer Burschenschaft saßen
neben Andre Kapke und ergänzten sich auch in ihren „Diskussionsbeiträgen“
vortrefflich.
Im Dezember 1999 wurde eine weitere Ebene
der Zusammenarbeit aufgedeckt: Nachdem wiederholt berichtet wurde, dass die
Burschenschaft „Jenensia“ Diskussionsveranstaltungen auch für den THS geöffnet
hatte, sollte nun mit Peter Dehoust einer der bekannteren neonazistischen
Demagogen bei der „Jenensia“ auftreten. Gegendemonstranten und Medienbeobachter
stellten fest, dass auch hier THS, Burschenschafter und Republikaner
einträchtig miteinander im Veranstaltungsraum saßen und bekannte örtliche
Neonazis den Saalschutz organisiert hatten. Nachdem die Jenensia einen Teil
ihrer Mitglieder aufgrund der kritischen Diskussionen in der Öffentlichkeit ausgeschlossen
hatte, gründeten diese Mitte Februar 2000 in Jena eine neue Burschenschaft, die
„Normannia“. (Ostthüringer Zeitung vom 9. März 2000) Festredner war der
ehemalige Berliner Innensenator Heinrich Lummer (CDU), dem immer wieder
Kontakte zu rechtsextremen Kreisen nachgewiesen werden. Sein Auftritt
signalisierte gleichzeitig die Bedeutung der Jenaer Region für die bundesweiten
Zusammenhänge des rechten Spektrums. Die Gründung der „Normannia“ selbst zeigt
auch, dass die Organisationsvielfalt erhalten bleiben und eine spezifische
Organisation für Studierende angeboten werden soll. Dies aber als Zeichen für
eine Intellektualisierung der rechtsextremen Szene zu werten, wie dies der
Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz tut, geht an der Sache vorbei:
Dies ist längst geschehen, dazu braucht es keine „Normannia“ in Jena.
Weitere Organisationszusammenhänge, in
denen sich THS-Mitglieder bewegen sind die Junge Landsmannschaft Ostpreußen
(JLO), ein „Bildungswerk für Politik und Kultur“, unter dessen Deckmantel im
September 1999 kommunale Räume für eine Veranstaltung angemietet werden konnte
und die Gesangsgruppe „Eichenlaub“. Auf der Homepage dieser Barden werden
Skinheads zwar umworben, deren Kultur aber quasi wegen „Überfremdung des
deutschen Liedgutes“ abgelehnt. Eine Kostprobe der von „Eichenlaub“ abgelehnten
„Blood and Honour“-Kultur aber gab es im November 1999 dennoch, und zwar in
Schorba, einem Dorf ganz in der Nähe Jenas: Über 1.000 Skinheads aus ganz
Deutschland reisten, logistisch hervorragend dirigiert, zu einem Konzert in den
örtlichen Landgasthof, wo u.a. die Szene-Bands „Radikahl“ und „Stahlgewitter“
auftraten. Die Polizei, vom Verfassungsschutz offensichtlich nur unzureichend
informiert, schritt erst ein, als gegen Ende der Veranstaltung der Gasthof
verwüstet wurde.
* Empirisches
Material
Empirisches Material über die Verbreitung
rassistischer und rechtsextremistischer Ideologie liegt für Jena nicht vor.
Lediglich eine nicht-repräsentative Befragung aus dem Jahre 1999 gibt einige
wenige Anhaltspunkte: Im Auftrag des Jugendamtes der Stadt Jena führte das Psychologische
Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena eine Befragung von 600
Schülerinnen und Schülern an sechs Schulen der Stadt durch. Ergebnis: „Die
Ergebnisse der Befragung vermitteln ein breites Meinungsbild. So stimmen
beispielsweise zwanzig Prozent aller Befragten rechtsextremen Einstellungen zu.
Und sechzehn Prozent akzeptieren in diesem Zusammenhang sogar Gewalt.
Allerdings ist dieser Anteil an Regelschulen weitaus höher als an den
Gymnasien. Insgesamt zeigten sich immerhin zwölf Prozent aller Befragten
bereit, gegen Ausländer Gewalt anzuwenden.“ (Ostthüringer Zeitung vom 16. Juli
1999) Neun Prozent der Gymnasiasten und 35 Prozent der Regelschüler
betrachteten sich bei dieser Befragung selbst als rechtsgerichtet. (Thüringer
Landeszeitung vom 16. Juli 1999) Reaktion eines Schuldirektors, dessen Schule
in die Befragung einbezogen war: Diese Tendenz könne dem Image einer Schule
schaden. (Ebenda) Andere Gefährdungsobjekte rechtsextremen Denkens wie zum
Beispiel Flüchtlinge oder Andersdenkende sind nicht erwähnenswert.
Die Wahlergebnisse in Jena ergeben bislang
ein anderes Bild, die rechten Parteien spielen keine besonders bedeutende
Rolle. Zu Landtagswahlen ist die Stadt in zwei Wahlkreise unterteilt, folgende
Ergebnisse sind zu verzeichnen: Die NPD erreichte 1990 in beiden Wahlkreisen
jeweils 0,3 Prozent, trat 1994 nicht an und erzielte 1999 0,3 bzw. 0,4 Prozent.
Die DVU kandidierte 1999 erstmals und erreichte 1,9 bzw. 2,0 Prozent. Die „Republikaner“
schließlich erzielten 1990 0,6 und 0,5 Prozent, 1994 als alleinig kandidierende
Rechtspartei 1,1 und 1,5 Prozent sowie 1999 0,9 und 1,0 Prozent.
Die kreisfreie Stadt Jena wird umschlossen
vom Saale-Holzland-Kreis, der bei Landtagswahlen wiederum in ebenfalls zwei
Wahlkreise unterteilt ist. Hier ergaben sich 1999 höhere Ergebnisse der
Rechtsparteien: Im Wahlkreis I erzielten DVU, NPD und „Republikaner“
zusammengenommen 4,6 Prozent, im Wahlkreis II gar 5,1 Prozent, wobei jeweils
die DVU über drei Prozent, die „Republikaner“ ein Prozent und die NPD 0,4
Prozent erzielten. Da Jena nicht von seinem Umland zu trennen ist, sollten also
die rein städtischen Wahlergebnisse keinerlei Grund zur Unbesorgtheit sein.
* Alltagsbilder
Das Auftreten organisierter und
unorganisierter rechter Gruppen gehört mittlerweile auch in Jena zum
alltäglichen Bild. Etliche Schulen und öffentliche Plätze sind Schauplatz, dazu
auch Einkaufszentren wie die mondäne Goethe-Galerie und der dazugehörige
Ernst-Abbe-Platz, der quasi als Campus der Friedrich-Schiller-Universität
fungiert. Im Unterschied zu Saalfeld ist es der örtlichen Rechten noch nicht
gelungen, tatsächlich eine national-befreite Zone zu errichten, doch können als
antifaschistisch wirkende oder bekannte Bürger nicht mehr jeden Ort der Stadt
angstfrei
aufsuchen. Mindestens mit intensiven
Blicken und Gesten wird deutlich gemacht, dass ihre Anwesenheit nicht erwünscht
ist.
Zu besonderen Anlässen kommen dann auch
besondere Handlungen: Der jährliche Weihnachtsmarkt im Stadtzentrum wurde 1999
zum Angriffspunkt auf Andersdenkende. Am 27. November provozierten etwa 25
Rechtsextreme vor dem Gebäude der JG Stadtmitte, so dass die Polizei zur Hilfe
gerufen werden musste. Am Abend des gleichen Tages wurden linksalternative
Jugendliche tätlich angegriffen, das gleiche wiederholte sich am 30. November
direkt auf dem Weihnachtsmarkt. In den folgenden Tagen reagierte die JG
Stadtmitte, indem sie in größeren Gruppen den Weihnachtsmarkt besuchte, um
linken
Jugendlichen überhaupt die Möglichkeit
eines Weihnachtsmarktbummels zu geben. Ab diesem Zeitpunkt war für einige Tage
ein großes Polizeiaufgebot präsent, jedoch richtete sich dessen Eingreifen
weniger gegen die rechten Provokationen als gegen die JG Stadtmitte, deren
Auftreten offenbar als
eigentliche Provokation aufgefasst wurde. Dies
war nicht allein, aber auch Ergebnis einer Strategie der Neonazis, die bei der
Polizei Strafanzeigen gegen Beteiligte an den JG-Aktionen erstatteten.
Zu den Alltagsbildern gehört auch das
Verhalten der Kommunalpolitik und, nachgeordnet, der Polizei. Dies soll daher
ebenfalls kurz skizziert werden, wobei schon vorab gesagt sei, dass dieses
Verhalten eher indifferent ist.
Während in Saalfeld die örtlichen
Politiker nahezu aller Parteien (mit Ausnahme der PDS) bestrebt waren, die
rechten Zusammenhänge zu leugnen und eher die örtlichen und regionalen
Antifaschisten als Unruhestifter zu stigmatisieren, lässt sich dies für Jena
auf jeden Fall nicht sagen. Alle im Stadtrat vertretenen Parteien und auch der
Oberbürgermeister (FDP) beteiligten sich im Juli 1998 an einer
Protestkundgebung gegen den Auftritt der „Republikaner“ (s.o.). Im Redebeitrag
des Oberbürgermeisters bei der Protestkundgebung aber fand sich völlig ohne
äußeren Anlass die Totalitarismustheorie in Reinkultur wieder, als er dazu aufrief,
sich „den Radikalen von Links und Rechts entgegen zu stellen“. Und als Ende des
gleichen Jahres eine Gegenkundgebung gegen einen geplanten NPD-Aufmarsch stattfand,
hatten sich die Reihen der Beteiligten bereits gelichtet: Außer
antifaschistischen Jugendlichen und
einigen engagierten Bürgerinnen und Bürgern waren nur wenige örtliche Politiker
(allerdings wiederum aller Parteien) erschienen, um gegen die NPD zu
demonstrieren. In einer Art „Jahresrückblick“ des Oberbürgermeisters auf das
Jahr 1998 wiederholte er seine Kritik an den „Radikalen von Links und von
Rechts“, die die Stadt Jena „zum Aufmarschgebiet“ machen würden. (Ostthüringer
Zeitung und Thüringer Landeszeitung vom 28. Dezember 1998)
Es zeigt sich in Jena insgesamt das Bild
einer Kommunalpolitik, die zwar das Auftreten rechter Organisationen und
Parteien ablehnt, dem aber linksalternative Gruppen und Veranstaltungen
umstandslos gleichstellt und damit schon ihre eigene Unfähigkeit zur Analyse
der tatsächlichen Situation unter Beweis stellt. Zeigen antifaschistische
Gruppen und Persönlichkeiten rechte Zusammenhänge auf oder protestieren dagegen
öffentlich, laufen sie Gefahr, in Verkehrung der Tatsachen zum eigentlichen
Ärgernis zu werden.
Dies widerspiegelt sich zumindest vielfach
in der Berichterstattung der örtlichen Medien und natürlich auch im Verhalten
der Polizei. Es darf vermutet werden, dass insbesondere in den Reihen der Kommunalpolitiker
auch ein großes Maß an Hilflosigkeit gegenüber den rechten Entwicklungen vorhanden
ist. Es gibt in Thüringen kein Beispiel für entschlossenes und durchdachtes
Handeln einer Kommune gegen rechte Hegemoniebestrebungen, das beispielhaft sein
könnte. Und: Es gibt offensichtlich auch keine Kommune, die sich die eigenen
Probleme und die eigene Hilflosigkeit eingestehen und davon ausgehend Konzepte
entwickeln und erproben will. Dies dennoch durchzusetzen, muss zu den Aufgaben antifaschistischer
Politik gehören.
Stand 01.04.2000